Querwege e. V.

News

show all News entries

Individuelle Hilfen/​Schulbegleitung

„So wie hier sollte es überall sein.“ – Ein Jahr Modellprojekt an der Schillerschule

(Sorry. This content is only available in german language.)

Interview mit den Michael Schmidt und Katja Schuchardt (QuerWege-Schulbegleiterteam)

An der Staatlichen Grundschule ,,Friedrich Schiller« ist mit dem letzten Schuljahr ein 2–jähriges Modellprojekt gestartet, das Schulbegleitung neu denkt und praktiziert. Gemeinsam mit der Stadt Jena und dem Integrationsdienst haben sich insgesamt drei Jenaer Schulen mit drei verschiedenen Trägern auf diesen innovativen Weg gemacht. An der Schillerschule, mit ihren 280 Kindern, unterstützt ein 10–köpfiges Team von QuerWege die rund 20 Lehrer*innen und 13 Erzieher*innen im Schulalltag.

Wir haben uns mit Teamleiter Michael Schmidt und seiner Kollegin Katja Schuchardt getroffen, um das erste Jahr Revue passieren zu lassen.

Katja und Michael, was für Kinder begleitet ihr beide?

Michael: Ich begleite ein Mädchen mit körperlichen Beeinträchtigungen, u.a. einer Sehbehinderung. Daher muss ich ihr z.B. beim Tafelabschreiben die Worte buchstabieren oder Texte farbig markieren, damit sie es besser visuell wahrnehmen kann. Sie hat auch eine Gehbehinderung, sodass ich ihr behilflich bin, wenn sie sich im Schulhaus bewegt. Sie ist zudem kognitiv beeinträchtigt, jedoch ohne klare Diagnose. Zu viele Reize sind sehr anstrengend für sie und sie braucht manchmal Unterstützung im sozial-emotionalen Bereich.

Katja: Ich begleite hauptsächlich einen Jungen mit sonderpädagogischem Gutachten. Er hat Defizite im emotional-sozialen Bereich und eine Lernbehinderung. Ich bin daher u.a. bemüht, seine Aufmerksamkeit zu lenken, mit ihm Emotionen zu regulieren und zu viele Ablenkungen zu vermeiden. Dann klappt das Lernen viel besser bei ihm.

Könnt ihr erläutern, was das Ziel und die Innovation am Modellprojekt an der Schillerschule sind?

Michael: Wir wollen eine nachhaltige inklusive Bildungsumgebung schaffen, in der alle Schüler*innen entsprechend ihrer individuellen Bedarfe unterstützt werden – flexibel, bedarfsgerecht und präventiv. Der innovative Kern liegt dabei in der Einführung eines personenzentrierten Schulbudgets, welches es erlaubt, Fachleistungsstunden nicht mehr starr an einzelne Fälle zu binden, sondern flexibel einzusetzen – auch dann, wenn ein*e Schüler*in temporär nicht anwesend ist.

Bislang waren hier an der Schillerschule mehrere Träger parallel tätig. Mit der gebündelten Zuständigkeit schaffen wir jetzt klare Verantwortlichkeiten, einheitliche Standards und eine zentrale Koordination – was sich unmittelbar in der Qualität der Unterstützung für die Schüler*innen niederschlägt. Wir sind ein festes, qualifiziertes Team mit klarer Leitung, das dauerhaft an der Schule präsent ist.
Besonders hervorzuheben ist der präventive Ansatz: Das Modellprojekt erlaubt eine frühzeitige Unterstützung von Kindern, deren Unterstützungsbedarf sich erst abzeichnet. Diese Flexibilität ermöglicht eine sofortige, wirksame Begleitung, wenn wir gebraucht werden. Die eingesetzten Stunden werden dabei immer dokumentiert, inklusive pädagogischer Beobachtungen aus dem Unterricht, um eine fundierte Einschätzung der Bedarfe zu ermöglichen.

Katja: Dadurch ist es wirklich möglich, auch die Kinder aufzufangen, für die (noch) keine Anträge auf Eingliederungshilfe gestellt wurden. Wir können so auf jedes Kind eingehen, wo wir in bestimmten Situationen Bedarf sehen. Also wenn ein Kind Auffälligkeiten gezeigt hat, können wir uns die Zeit nehmen und einen Blick drauf werfen und mit ihm arbeiten. Die Kinder fallen einfach nicht mehr runter.

Was hat sich noch für die Schüler*innen geändert, die ihr begleitet?

Michael: Die Schulbegleitung ist verlässlicher, einheitlicher und kontinuierlicher geworden. Wir sind vertraute Bezugspersonen. Das schafft Sicherheit und ein stabiles Lernumfeld, was besonders für Kinder mit Unterstützungsbedarfen von großer Bedeutung ist.
Katja: Genau. Es gibt jetzt kaum fremde Gesichter mehr, die als Vertretungen aus anderen Schulen kamen, wenn ausgeholfen werden musste. Wir kommen durch die Arbeit in Gruppen mit viel mehr Kindern in Kontakt und haben uns Vertrauen erarbeitet.
Micha: Die Schüler*innen erleben Schulbegleitung nicht als punktuelle Maßnahme, sondern als Teil ihres schulischen Alltags.

Welche konkreten Veränderungen sind seit Schuljahresbeginn zu spüren? Gibt es konkrete Beispiele, was sich in eurem Arbeitsalltag geändert hat?

Katja: Z.B. haben wir als Schulbegleiter*innen zuvor Minusstunden gemacht, wenn etwa der*die betreute Schüler*in krank wurde bzw. nicht in der Schule anwesend war. Durch die Pool-Lösung jetzt müssen wir uns da keine Sorgen mehr machen, zu wenig Stunden leisten zu können, denn es gibt immer Kinder, um denen wir präventiv widmen können.

Und wir können auch in der Gruppe mit mehreren Schüler*innen arbeiten. Das erweitert unsere Möglichkeiten sehr. Wir sind Ansprechpartner*innen für die ganze Klasse und werden als Fachkräfte anerkannt.

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit der Schulleitung und den Lehrer*innen an der Schillerschule verändert?

Michael: Die Kooperation mit der Schillerschule hat sich in den vergangenen Monaten deutlich intensiviert. Wir erleben die Zusammenarbeit als echte Partnerschaft: Schulbegleitung wird nicht nur mitgedacht, sondern aktiv in schulische Prozesse eingebunden. Das zeigt sich konkret in vielen Bereichen – etwa in der Einladung zu Dienstberatungen, unserer Beteiligung an schulinternen Weiterbildungen und unserer festen Rolle in der »KoPrax« einer multiprofessionellen Beratungsrunde an der Schule. Auch am Tag der offenen Tür sowie am schulischen Teamtag waren wir aktiv beteiligt – Letzterer wurde sogar vollständig durch die Schule finanziert, was wir als starkes Zeichen für eine gewachsene gemeinsame Verantwortung wahrnehmen. Mit Frau Wagner und Frau Münnich haben wir eine Schulleitung an der Schillerschule, die den Veränderungen Raum geben und engagiert und konstruktiv mit uns zusammenarbeiten.
Wir haben einen eigenen Raum für Schulbegleitung, nutzen das Pädagog*innenzimmer mit, haben jederzeit Zugang zum Förderbereich. Mein Eindruck ist, dass sich in den Klassenteams – also in der direkten Zusammenarbeit von Lehrkräften, Erzieher*innen und Schulbegleiter*innen – vielfach ein kooperatives Miteinander etabliert hat.

Natürlich gibt es auch noch Entwicklungspotenzial. Einzelne Pädagog*innen sind im Umgang mit Veränderungen zurückhaltender oder haben bislang kein klares Bild vom erweiterten Aufgabenspektrum der Schulbegleitung im Modellprojekt. Aber wir sind sehr zuversichtlich, dass es da auch noch Veränderungen geben wird.

Katja: Wir sind ja zusammen mit der jetzigen Schulleitung der Schillerschule neu gestartet. Da gab es auch einen Wechsel mit diesem Schuljahr. Das hat sehr geholfen, gemeinsam etwas Neues zu etablieren. Daran sind alle zusammen gewachsen und auch sehr stolz drauf. Wir sind gut angesehen und froh über die Unterstützung v.a. der Klassenlehrer*innen.

Michael, du bist ganz neu in der Rolle der Teamleitung und auch neu an der Schillerschule. Wie hast du in diese Rolle hineingefunden und wie habt ihr euch als Team gefunden?

Michael: Ich hatte das Glück, schon vor dem offiziellen Start etwas Vorlaufzeit über die Sommerferien hinweg zu haben. So konnte ich mich bereits mit meiner neuen Rolle und mit der Schule vertraut machen und inhaltlich an das Modellprojekt andocken.

Typisch für den Bereich der Schulbegleitung ist jedoch, dass die Arbeitsverträge vieler Kolleg*innen erst mit dem ersten Schultag beginnen – dadurch war vor dem Schulstart nur wenig Zeit für ein intensives Kennenlernen. Jedoch haben wir uns am Wochenende vor Schulbeginn in einem digitalen Meeting getroffen – ein erstes Kennenlernen, Strategiegespräch und Teamentwicklung in einem. In den darauffolgenden Wochen und Monaten haben wir durch regelmäßige Teamrunden den Austausch weiter vertieft, uns fachlich miteinander abgestimmt und begonnen, zusammenzuwachsen.

Ich bin bei QuerWege in ein Team von qualifizierten, engagierten Menschen gekommen, die mich herzlich aufgenommen haben, offen für Austausch sind und bei denen ich viel lernen kann. Ich schätze außerdem die Abwechslung, die sich aus meiner Rolle ergibt: quasi täglich neue Aufgaben, neue Begegnungen und die Möglichkeit, mitzugestalten – das macht diese Aufgabe für mich besonders reizvoll.

Katja, was sind aus deiner Sicht die größten Unterschiede mit einer »eigenen« Teamleitung, die an der Schule präsent ist, im Vergleich zu vorher, als eine Leitungsperson neben der Schillerschule auch für andere Schulen verantwortlich und nicht vor Ort war?

Katja: Wir können z.B. gleich früh direkt Absprachen treffen, wenn sich kurzfristige Veränderungen ergeben. Micha weiß dann sofort, worüber man redet und wo der Schuh drückt. Er kann dann die Dinge z.B. gleich mit der Schulleitung oder anderen Kolleg*innen besprechen. Total effektiv!

Welche Herausforderungen sind im Verlauf des Schuljahres aufgetreten?

Katja: Wenn z.B. viele Kolleg*innen fehlen, weil eine Krankheitswelle zu Ausfällen führt, dann springt man mitunter ganz schön hin und her zwischen den Kindern, deren Begleitung nicht da ist. Aber es funktioniert und daran kann man ja auch wachsen.

Micha: Stimmt. Uns ist es auch in den Wintermonaten gut gelungen, eine stabile Auslastung zu halten und die Kontinuität in der Begleitung sicherzustellen.
Herausfordernd war auch die Phase, in der es darum ging, das konzeptionelle Modell vom Papier in den schulischen Alltag zu übertragen. Gerade zu Beginn erforderte das viele Teamrunden, Koordinationsaufwand und auch Geduld. Ein weiterer Punkt, der uns intensiv beschäftigt hat, war die Entwicklung eines geeigneten Evaluationstools, damit wir ein realistischeres Bild der Wirkung unserer Arbeit zu gewinnen.

Worauf seid ihr besonders stolz?

Katja: Ich bin stolz darauf, wie gut wir präventiv arbeiten können, dass uns die Lehrer*innen so gut annehmen, wir als Team stabil für die Kinder da sind und an uns selbst gewachsen sind.

Micha: Ich bin stolz, wenn ich bspw. in meine Klasse schaue und dort ein gutes Team-Klima vorfinde, wenn ich durch das Schulhaus gehe und mir Schüler*innen aus den unterschiedlichsten Klassen freudig zurufen und wenn ich von unseren Partner*innen im Modellprojekt – der Schule, der Stadt und dem Integrationsdienst – höre, dass sie den Mehrwert des Ganzen teilen.

Denkt, ihr, dass sich seit dem letzten Sommer am Schulklima bemerkbar macht, dass Schulbegleitung jetzt viel präsenter ist?

Katja: Definitiv ja. Wir werden viel besser mitgenommen, angesprochen, eingebunden. Wenn ich auf Arbeit gehe, ist es wie nach Hause kommen. Ich arbeite seit 8 Jahren an der Schillerschule, aber seit einem Jahr fühlt es sich fast wie Familie an hier. Es ist jetzt ein viel schöneres Arbeiten und Zusammenhalten.

Wie geht es im nächsten Schuljahr weiter?

Michael: Mein Ziel ist es mit einem konstant gebliebenen Team in das nächste Schuljahr zu starten. Erfahrungen aus dem ersten Schuljahr einfließen zu lassen und dann viel von dem, was jetzt schon gut läuft, weiter wachsen zu lassen.

Ganz allgemein: Welche Innovationen oder Entwicklungen können Schulbegleitung und schulische Inklusion in den nächsten Jahren noch weiter voranbringen?

Michael: Ansätze, wie sie im Modellprojekt erprobt werden, die nicht ausschließlich einzelne Fallhilfen, sondern einen flexiblen Stundenpool als Summe aller bewilligten Fachleistungsstunden vorsehen, haben ein großes Potenzial, schulische Inklusion voranzubringen. Ich hoffe, da geht es in Zukunft hin.

Katja: Es sollte in erster Linie immer darum gehen, dass jedes Kind glücklich in seiner Schule ist, Hilfe bekommt, sich geborgen fühlt. Die Heterogenität der Schüler*innen wird größer und es wird nicht leichter, Kinder aus verschiedenen Kulturkreisen, Herkunftsländern, sozialen Schichten und mit verschiedenen Förderbedarfen oder Talenten, Traumata und Problemen unter einen Hut zu bringen. Dazu braucht es verschiedene Professionen. Jede Schule sollte daher ein Modellprojekt haben. Kurzum: So wie hier sollte es überall.

published on 15. July 2025